Carolina ist IT-Projektleiterin und kam genau wie ihre Kollegen vor drei Monaten in den Genuss einer firmeninternen Veranstaltung zum Thema „Professionelles Stressmanagement“
Heute ist sie gestresster und frustrierter als vor dem Seminar. Wie kann das sein? Scharfe Zungen werden anmerken ‚Endlich mal ein Training, das Wirkung zeigt!“ Doch das Ergebnis ist nicht nur bitter für sie, sondern für das ganze Unternehmen. Schließlich hat die Maßnahme Geld und Zeit gekostet.
Was war passiert? Die Führungskraft zeigte sich von Carolinas konkreter Umsetzungsstrategie – im Überlastungsfall auch mal nein zu sagen - nicht nur nicht beeindruckt, sondern erhöhte sogar weiter den Aufgabendruck.
Fachleute sprechen bei diesem Post-Trainings-Phänomen von kognitiver Dissonanz
Stellen Sie sich vor, Sie sind Raucher, besuchen ein Nichtraucher-Training und haben nun einen glasklaren Überblick über die Gefahren des Rauchens, eine für Sie stimmige Ausstiegsstrategie entwickelt und rauchen trotzdem weiter. Das ist echte Schwerstarbeit für Ihren Verstand, der ja weiß, was eigentlich zu tun wäre, Ihnen aber nun dabei zusehen muss, wie Sie sich eine Zigarette nach der anderen anzünden. So ging es im übertragenen Sinne nun Carolina in ihrem beruflichen Alltag.
Ohne aktive ‚Rückendeckung‘ der Führungskräfte verpufft der Trainingseffekt
Da ich seit über zwanzig Jahren im Bereich ‚Burnoutprophylaxe‘ tätig bin, weiß ich, dass einer der wirkungsvollsten Hebel, um selbst langfristig leistungsfähig zu bleiben, das ‚Nein sagen‘ ist. Denn gerade die Menschen, die drohen auszubrennen und sich komplett zu verausgaben, sind oft genau die, die das NEIN nicht über die Lippen bringen.
Wenn nun eine ‚hochengagierte‘ Carolina den Entschluss fasst, im Überlastungsfalle nein zu sagen und gleichzeitig darauf hinweist, welche Konsequenzen die Übernahme der neuen Aufgaben auf die Erledigung des noch ausstehenden Projektes hat - nämlich eine stark eingeschränkte Qualität im Endergebnis - dann ist das schon mal eine beachtliche persönliche Leistung!
Stellen Sie sich nicht so an! Sie waren doch auf einem Stressmanagement-Seminar!
Doch den Post-Trainings-Alltag skizzieren viele Teilnehmer dann ähnlich wie Carolina.
Sie: „Bitte übertragen Sie diese Aufgabe einem anderen Projektleiter! Wenn ich mit meinem Team im vereinbarten Zeitraum liefern soll, brauche ich dafür die volle Aufmerksamkeit“.
Der Kommentar der Führungskraft: „Sie haben aber doch dieses Seminar besucht!“
Sie: „Ja und deswegen informiere ich Sie ja über die Konsequenzen, also die mangelnde Abschlussqualität des aktuellen Projekts, wenn ich jetzt noch eines annehme!“
Die Führungskraft: „Dann reißen Sie sich mal zusammen!“
Ende des Gesprächs!
Als Führungskraft zwischen Boreout- und Burnout-Mitarbeitern unterscheiden können
Ganz wichtig, sehr geehrte Führungskräfte, ich spreche hier nicht von Mitarbeitern, die konstant am unteren Rand der eigenen Belastbarkeit ihren Dienst tun, sondern von den Menschen, die sich die ‚Latte‘ gerne selbst in schwindelerregende Höhen legen.
Diese Personen gilt es, gesetzt den Fall, Sie selbst sind eine vorrausschauende Führungskraft, darin zu bestärken, auch mal Aufgaben abzulehnen. Von einem Stressmanagement-Seminar zu erwarten, dass die Teilnehmer daraus gestählt hervorgehen, halte ich für Humbug.
An Klarheit statt an Härte gewinnen
Was ein solches Training aber durchaus leisten kann ist, den Teilnehmern durch die Theorie- und Praxisvermittlung, wertvolle Werkzeuge an die Hand zu geben und einen produktiveren Blick auf den eigenen beruflichen Alltag und dessen Herausforderungen zu ermöglichen.
Die drei Hebel für professionelles Stressmanagement
Die gute Nachricht: Generell haben wir immer drei kraftvolle Möglichkeiten Stress zu begegnen. Hier hat Gert Kaluza mit seinem multimodalen Stressmanagement theoretisch den Grundstein gelegt. http://www.gkm-institut.de/
1. Übermäßigen Stress schon im Vorfeld verhindern z.B. durch das „Nein sagen“
2. Die eigene innere Haltung gegenüber Stress verändern z.B. durch ein Coaching
3. Im Anschluss an besonders harte Phasen für ausreichende Regeneration sorgen
Bei einem ‚Nein‘ seitens der Mitarbeiter besonders gut zuhören
Die einfachste Möglichkeit für Führungskräfte langfristig etwas für die Gesundheit und damit Leistungsfähigkeit ihres Teams zu tun, ist den Mitarbeitern im persönlichen Kontakt mit ihnen Zeit einzuräumen und aufmerksam zuzuhören, besonders dann, wenn sie einmal nein sagen! ;-)
Mit Grüßen aus dem Ring
Peter Flühr
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